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Abschnittsübersicht

  • Games in der Demokratiebildung

    • Einführung & Begründung

      Spiele werden im Alltag häufig als Flucht aus der Realität verstanden. In vielen Gaming-Communities hört man auch, dass man sich lieber aus politischen Diskussionen heraushalten möchte.
      Die aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung „Spielräume für Demokratie“ (2025) zeigt jedoch ein differenzierteres Bild: Spielerinnen und Spieler sind alles andere als unpolitisch. Gerade Vielspielende haben oft eine klare politische Meinung und interessieren sich stark für gesellschaftliche Fragen.

      Auch das von der Bundeszentrale für politische Bildung beim Gamescom Congress 2025 vorgestellte Handbuch „Gaming und Rechtsextremismus“ belegt, dass Spielewelten sowohl Risiken (Radikalisierung, Diskriminierung, Hassrede) als auch Chancen für Demokratiebildung bieten. Wichtig ist dabei die Erkenntnis:

      Es gibt nicht die eine Gaming-Community.
      Stattdessen entstehen rund um einzelne Spiele oder Genres unterschiedliche Gemeinschaften mit vielfältigen politischen Orientierungen.

      Der Begriff „Gamer“ ist dennoch oft durch negative Assoziationen geprägt – insbesondere durch den rauen, manchmal diskriminierenden Ton in stark kompetitiven Online-Multiplayer-Spielen (z. B. League of Legends, Counter-Strike). Laut Bertelsmann-Studie erleben besonders Gaming-Enthusiast:innen, die viel Zeit in diesen Spielen verbringen, häufiger Diskriminierung – üben diese aber zum Teil auch selbst aus.

      Gleichzeitig zeigt sich: Der größere Teil der Spielenden bevorzugt einen harmonischen Umgang. Auf Großevents wie der Gamescom wird deutlich, dass Werte wie Toleranz, Vielfalt und Respekt dominieren. Gerade Jugendliche, die sich in Schule oder Alltag unter Druck fühlen, finden in Gaming-Communities Freundschaften, Unterstützung und Bestärkung für ihre Überzeugungen.


      Relevanz für die Schule

      Das Handbuch „Gaming und Rechtsextremismus“ betont: Games haben Einfluss auf Spieler:innen – abhängig von der individuellen Medienkompetenz und den Rahmenbedingungen, in denen gespielt wird.
      Damit sind sie ein anschauliches Medium für politische Bildung: Schülerinnen und Schüler können ihre Erfahrungen reflektieren, deuten und in den gesellschaftlichen Kontext einordnen.


      Game Based Learning statt Gamification

      Für die Schule ist wichtig, klar zu unterscheiden:

      • Gamification bedeutet, Lernprozesse durch Punkte, Abzeichen oder Ranglisten zu „verspielen“. Das kann motivieren, bleibt aber oft an der Oberfläche.
      • Game Based Learning dagegen nutzt das Spiel selbst als Lernmedium: durch Handlungen, Entscheidungen und deren Konsequenzen entstehen echte Lern- und Reflexionsprozesse.

      → Hier steht also nicht die Belohnungslogik im Vordergrund, sondern das Erleben, Nachdenken und Diskutieren.


      Selbstwirksamkeit als Motivation

      Ein entscheidender Faktor ist die Selbstwirksamkeit: Wenn Schüler:innen im Spiel erleben, dass ihre Entscheidungen einen Unterschied machen – sei es in einer Story, im Umgang mit Mitspieler:innen oder im Diskurs über Werte – entsteht Motivation, sich auch im realen Leben für Demokratie einzusetzen.

      Diese positive Erfahrung der eigenen Wirksamkeit ist ein zentrales Lernziel in der Demokratiebildung.

    • „Fünf junge Erwachsene stehen vor violettem Hintergrund mit Logo ‚Deine Stimme‘.“

       

      Fallbeispiel: „Deine Stimme“ (BLZ/BPB)

      „Deine Stimme“ ist ein interaktives Serious Game der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit. Es eignet sich ab Klasse 8 und vermittelt demokratische Kompetenz durch direkte Spielerfahrung. Lernende erleben Wahlkampfdynamiken, werden mit manipulierten Medien konfrontiert und treffen am Ende eine Wahl – deren Konsequenzen unmittelbar sichtbar werden.


      Warum dieses Spiel im Unterricht wertvoll ist

      Das Spiel zeigt anschaulich, wie Populismus, Medienstrategien und Emotionen politische Entscheidungen beeinflussen. Dabei sind gerade „negative“ Spielerfahrungen – etwa wenn die Gesellschaft im Spiel autoritäre Züge annimmt – besonders lehrreich. Sie bilden starke Lernmomente, die im anschließenden Gespräch aufgearbeitet werden können.

      „Deine Stimme“ ist kein bloßes Quiz, sondern ein Rollenspiel, das Lernende in politische Prozesse hineinzieht – und damit Game Based Learning im besten Sinne ermöglicht.

      Pädagogische Umsetzung

      Das Spiel einschließlich der damit verbundenen Nachbesprechung, lässt sich in drei Phasen einteilen:

      • Phase 1 – Wahlkampf: Auseinandersetzung mit Kandidat:innen, Social-Media-Clips und manipulierten Informationen.
      • Phase 2 – Abstimmung: Gemeinsames Wählen und Entscheiden.
      • Phase 3 – Konsequenzen: Reflexion der Enden (Demokratie, autoritäre Tendenzen, Coup, Protest).

      Wichtig ist ein strukturiertes Debriefing, um die Spielerfahrungen zu reflektieren und in den politischen Kontext einzuordnen. Leitfragen können sein:

      • Wie wurden populistische Strategien sichtbar?
      • Welche Rolle spielten Emotionen bei der Entscheidung?
      • Warum ist Informationsprüfung („Info-Checker“) entscheidend?

      Lernziele & Motivation

      „Deine Stimme“ stärkt die Urteilskompetenz, die kritische Mediennutzung und macht deutlich, dass Wahlen Wirkung haben. Schülerinnen und Schüler erleben Selbstwirksamkeit, da sie spüren, wie ihre Wahl im Spiel konkrete Folgen hat. Dies motiviert, auch im echten Leben informiert und aktiv an Demokratie teilzunehmen.


      Materialien & Download

      Das Begleitmaterial bietet u. a. einen Express-Leitfaden, Arbeitsblätter, Stimmzettel und Debriefing-Vorlagen – ideal für eine sofort einsetzbare Unterrichtsstunde.


    • Spiel-Logo in Neonblau vor dunklem Stadthintergrund mit Silhouetten von Hochhäusern.

      Fallbeispiel: Join the Comfortzone

      Join the Comfortzone ist ein interaktives Textadventure, das die Geschichte von Khan und seiner Schwester Kira erzählt. Beide leben in einem fiktiven, totalitären Staat. Als Kira ein regimekritisches Gedicht veröffentlicht, stehen die Spielenden vor grundlegenden Entscheidungen: Verraten sie Kira oder helfen sie ihr bei der Flucht? Das Spiel bietet neun unterschiedliche Enden und setzt auf das Prinzip der Erfahrungsbasierung: Schüler:innen erleben hautnah, was Grundrechtseinschränkungen bedeuten, und reflektieren ihr eigenes Handeln.


      Didaktischer Hintergrund

      Das Spiel eignet sich für verschiedene Fächer:

      • Gemeinschaftskunde/Politik: Analyse von Grundrechten, deren Verletzung und Bedeutung für den Rechtsstaat. Anbindung an den Kompetenzbereich „Recht – Grundrechte“ im Bildungsplan (Sek I, Gymnasium).
      • Ethik: Einsatz als philosophisches Gedankenexperiment. Lernende diskutieren Werte, Normen und Dilemma-Situationen, z. B. Gesetzestreue versus Familiensolidarität.
      • Deutsch: Förderung von literarischem Verstehen durch Analyse narrativer Strukturen, Figurenkonstellationen und kreatives Schreiben (z. B. Tagebucheinträge, innere Monologe).

      Die Materialien knüpfen an den Bildungsplan Baden-Württemberg an und sind differenziert für G-, M- und E-Niveau aufbereitet.


      Praxis im Unterricht

      Die Einheit umfasst typischerweise 4–6 Unterrichtsstunden. Empfohlen ist die Arbeit in Partner- oder Kleingruppen, um Entscheidungen gemeinsam zu treffen und im Anschluss zu reflektieren. Es lässt sich aber im Zweifel auch in nur  2-3 Unterrichtsstunden spielen und in Grundzügen nachbesprechen, da das Spiel selbst nicht sonderlich lang ist. 

      Hinweis: Das Spiel ist hervorragend auf Deutsch vertont, daher empfiehlt es sich Kopfhörer zu nutzten. 

      Vorgeschlagener Ablauf:

      1. Spielphase: Die Schüler:innen spielen das Adventure (z. B. auf join-the-comfortzone.com) und dokumentieren ihre Entscheidungen im Spieleprotokoll (AB 1).
      2. Reflexion: Diskussion zentraler Schlüsselszenen und Konsequenzen mithilfe von Reflexionskarten (AB 2).
      3. Vertiefung:
        • Gemeinschaftskunde: Arbeit mit AB 4–6 zu Grundrechten und Rechtsstaatlichkeit.
        • Ethik: Philosophische Dilemmata diskutieren („Soll Khan Kira verraten?“).
        • Deutsch: Figurenanalysen und produktive Schreibaufträge (z. B. Brief von Kira an Khan, Plädoyer vor Gericht).
      4. Transfer: Bezug zur Lebenswelt der Schüler:innen: Welche Rechte haben sie selbst? Wo erleben sie Demokratie im Alltag?

      Materialien & Links

      Die Handreichungen enthalten fertige Arbeitsblätter (AB 1–6), differenziert nach Niveaustufen, sowie methodische Tipps für Reflexion, Diskussion und kreative Aufgaben.


      Bildungsplanbezug

      • Gemeinschaftskunde: Recht – Grundrechte (Analyse von Grundrechtskonflikten, Stellung der Grundrechte im Rechtsstaat).
      • Ethik: Ethisch-moralische Grundlagen des Handelns (Reflexion von Werten und Normen, Umgang mit Dilemmata).
      • Deutsch: Literarische Texte (Analyse von Figuren, Handlungsstrukturen, produktives Schreiben).
    • Bild aus Through the Darkest of Times: Zwei Personen fliehen mit Flugblättern, im Hintergrund brennt ein Gebäude.

      Fallbeispiel: Through the Darkest of Times

      Through the Darkest of Times ist ein strategiespielartiges Indie-Game, in dem die Spielenden eine Widerstandsgruppe im Nationalsozialismus anführen. Ziel ist es, die eigene Gruppe zusammenzuhalten, Aktionen zu planen (z. B. Flugblätter, Sabotage) und gleichzeitig unter dem Druck von Gestapo und Mitläufern zu überleben. Das Spiel vermittelt eindrücklich die Gefahr, Isolation und moralischen Dilemmata von Widerstandskämpfer:innen im „Dritten Reich“.


      Didaktischer Hintergrund

      Das Spiel eignet sich besonders für den Geschichtsunterricht (Sek I und II), aber auch für Ethik und Gemeinschaftskunde, da es die Bedeutung von Zivilcourage und Widerstand thematisiert.

      • Geschichte: Nationalsozialismus, Alltagsgeschichte, Formen des Widerstands.
      • Ethik: Reflexion moralischer Entscheidungen, Umgang mit Angst, Solidarität und Verantwortung.
      • Gemeinschaftskunde: Demokratiegefährdung, Wert von Grundrechten und Engagement.

      Die Spielmechanik ermöglicht Perspektivübernahme: Lernende erleben die Verzweiflung, Unsicherheit und Gefährdung von Menschen im Widerstand, was traditionelle Lehrmaterialien oft nur schwer transportieren.


      Praxis im Unterricht

      Empfohlene Dauer: min. 4 Unterrichtsstunden (abhängig von Spielzeit und Reflexionsphasen). Das gilt allerdings nur, wenn man sich auf das erste Kapitel beschränkt. Je nachdem wie viele der 4 Kapitel man spielen und behandeln möchte, lässt sich die Unterrichtseinheit fast beliebig ausweiten. Zudem eigenet sich das Spiel auch zum Einsatz in einer Projektwoche um wirklich in die Tiefe zu gehen.

      Möglicher Ablauf:

      1. Einführung: Historische Einordnung: Widerstand im Nationalsozialismus. Kurzer Input zur Alltagsgeschichte.
      2. Spielphase: Schüler:innen spielen in Gruppen einzelne Kapitel und dokumentieren zentrale Entscheidungen und deren Konsequenzen.
      3. Reflexion: Diskussion: Welche Handlungsmöglichkeiten gab es? Wo lagen die Risiken? Welche Parallelen lassen sich zu heutigen Fragen von Zivilcourage ziehen?
      4. Vertiefung: Arbeit mit Quellenmaterial (z. B. Flugblätter, Biografien realer Widerstandskämpfer:innen) und Vergleich mit den im Spiel dargestellten Szenarien.

      Materialien & Links

      Die Bundeszentrale für politische Bildung bietet kostenfreie Materialien an, darunter didaktische Kommentare, Arbeitsblätter und Lehrerhandreichungen.


      Bildungsplanbezug

      • Geschichte: Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg, Bedeutung des Widerstands, Alltagsgeschichte.
      • Ethik: Werte und Normen, Verantwortung, moralische Urteilsbildung.
      • Gemeinschaftskunde: Demokratiebildung, Zivilgesellschaft, Lehren aus der Vergangenheit für Gegenwart und Zukunft.
    • Leons Zimmer unterm Dach: Schreibtisch, Studioleuchten, Boxsack und Bett – Spurensuche beginnt.

      Fallbeispiel: Leons Identität

      Leons Identität ist ein kostenloses Serious Game aus NRW, das Schülerinnen und Schüler ab Klasse 8 spielerisch für Rechtsextremismus und Radikalisierung sensibilisiert. Man schlüpft in die Rolle von Jonas, der das Verschwinden seines Bruders Leon untersucht – entdeckt Spuren im Zimmer, Hinweise auf rechtsextreme Ideologien und muss sehen, wie er Leon zur Rückkehr bewegen kann. Die spannende Geschichte ist verbunden mit einer Rätselmechanik, wie man sie aus Escape Games kennt.


      Didaktischer Hintergrund

      Das Spiel orientiert sich in vielen Aspekten an real existierenden Strukturen: Die fiktionale Gruppierung „Atavistische Aktion“ ist an die Identitäre Bewegung angelehnt. Broschüren, Bücher, Poster und Musik im Zimmer von Leon besitzen reale Referenzen.

      Leons Identität adressiert zentrale Lernziele in den Kernlehrplänen aller Schulformen NRW, insbesondere in den Inhaltsfeldern Sicherung und Weiterentwicklung der Demokratie sowie Identität und Lebensgestaltung. :contentReference[oaicite:2]{index=2}


      Praxis im Unterricht

      Gesamtdauer: etwa 6 Einzelstunden bzw. drei Doppelstunden (je 90 Minuten) – ideal für Einsatz im Klassenverband oder Partnerarbeit. Materialien ermöglichen differenziertes Arbeiten.

      Vorgeschlagener Ablauf:

      1. Einführung: Bildimpulse aus Leons Zimmer, erste Spurensuche mit Situationskarten und Beobachtungsmappe.
      2. Spielphase: Schülerinnen und Schüler spielen ausgewählte Szenen, erkunden Leons Zimmer, sammeln Hinweise.
      3. Zwischenreflexion: Diskussion über Gefühlszustände von Leon und Jonas, Einfluss von Ideologien und Gruppenzwang.
      4. Telefonat-Phase & Entscheidung: Je nach Fundlage versuchen Lernende, Leon zur Rückkehr zu bewegen – Reflexion über Gesprächsstrategien und Macht von Informationen.
      5. Vertiefung & Transfer: Vergleich zu realen Beispielen rechtsextremer Gruppen, Mediennutzung und Propaganda, Hausaufgabe oder Projektarbeit möglich.

      Materialien & Links


      Bildungsplanbezug

      • Politik / Wirtschaft-Politik / Gesellschaftslehre: Rechtsextremismus, Kernlehrplan NRW, Demokratie sichern und gestalten.
      • Ethik: Werte, Moral, Gruppenzugehörigkeit vs. Individualität, Verantwortung.
      • Medienbildung: Erkennen von Propaganda, Verschwörungserzählungen, Verschleierung und Manipulation in Medien.